Die feministischen Grundsätze unserer Beratungsarbeit

Parteilich, ganzheitlich, freiwillig, anonym und enttabuisierend: Die theoretischen und praktischen Ansätze feministischer Beratung und Therapie wurzeln in den Einschätzungen und Erfahrungen der autonomen Frauenbewegung und sind aus ihr erwachsen.

Ausgangspunkt ist die Analyse weiblicher Lebens-zusammenhänge, die die Benachteiligung von Frauen in ökonomischer, kultureller und sozialer Hinsicht aufweist. Feministische Beratung hinterfragt gesellschaftliche Selbstverständlichkeiten, weil sie bewusst die Konzentration auf das Erleben von Frauen, auf ihre Wahrnehmung und ihr Denken, lenkt.

In der parteilichen Beratung von Frau zu Frau wird den Erfahrungen der Frauen Ort und Stimme gegeben. Sie können sich als "Andere" in Bezug auf männliche Lebenswelten betrachten; die Selbstverständlichkeit, mit der das Gesellschaftliche als "Männliches" gesehen wird, wird aufgedeckt. Viele Frauen machen so das erste Mal die Erfahrung, dass sie mit ihrer Sichtweise des Problems ernst genommen werden.

Da Weiblichkeit in der patriarchalen Gesellschaft Geringschätzung und Abwertung erfährt, sind die Förderung von Selbstbestimmung und Unabhängigkeit von Frauen wichtige Ziele feministischer Beratung.

Physisches und psychisches Leiden von Frauen wird nicht als individuelles, sondern auch als gesellschaftlich bedingtes Leiden und somit als sinnhafter Bewältigungsversuch widersprüchlicher und ambivalenter Situationen gesehen.

Im Vordergrund stehen nicht die Pathologie der Symptomatik, sondern die Ressourcen jeder Frau. Feministische Beratungsarbeit setzt bei den Widerstandsformen, Wünschen und Fähigkeiten von Frauen an. Sie werden bei der Entwicklung neuer Handlungs-konzepte und der Übernahme von Eigenverantwortlichkeit begleitet. Alle Gefühle einer Frau erfahren als Ausdruck ihrer Bedürfnisse wertfreie Akzeptanz. Jede Frau soll/darf ihren eigenen Weg finden.

Gleichwertig neben den Beratungsangeboten versteht der feministische Ansatz das Prinzip der Selbsthilfe: Selbsthilfegruppen, Offene Angebote und Treffpunkte. Gerade durch diese Verbindung von problemorientierten und Offenen Angeboten entsteht das Gefühl, ganzheitlich angesprochen zu werden, so dass sich die Frau nicht nur als Hilfesuchende erlebt, Die Inanspruchnahme feministischer Angebote ist grundsätzlich freiwillig, und jede Frau hat das Recht, anonym zu bleiben.

Die feministische Arbeit versteht sich als enttabuisierend, weil sie das Gewaltpotential des Geschlechterverhältnisses zum Thema macht.